Carolin Krahl: Aufbegehren gegen die Kulturpolitik

Ein vergittertes Fenster, lange nicht mehr geputzt, eine altmodische, gestickte Gardine hängt auf Halbmast. Von dort aus blickt man auf den neogotischen Monumentalbau des ungarischen Parlaments. Es herrscht sonntägliches Gewusel, Touristen fotografieren salutierende Wachmänner. Drinnen am Fenster steht Szabolcs KissPál. In diesem Raum wird in wenigen Tagen seine Ausstellung »From Fake Mountains to Faith – Hungarian Trilogy« gezeigt, im Rahmen der zweiten Off-Biennale Budapest. Der Künstler zeigte sie bereits in Oldenburg, Cluj und Prag – in Ungarn war es kompliziert, einen Ort zu finden, der die umfangreiche Installation räumlich beherbergen konnte und inhaltlich beherbergen wollte. Sie seziert in drei dokufiktionalen Teilen den Nationalmythos Ungarns. Aus Archivmaterial rekonstruiert der Künstler Geschichten national besetzter Topographien und Symbole und erweitert sie um Fiktionen, deren Absurdität den dokumentarischen Anteilen in nichts nachsteht.

 

 

»Um 2013 herum glaubten wir noch, die Prozesse in der Kulturpolitik aufhalten zu können. Es gab ein Momentum der Proteste – nur waren sie vollkommen erfolglos.« Szabolcs KissPál, Künstler

 

Die Trilogie, bestehend aus zwei Filmen und einer musealen Installation, setzt um das Jahr 1920 an, in dem der Vertrag von Trianon geschlossen wurde, in dem Ungarn knapp zwei Drittel seines damaligen Territoriums abtreten musste. Rechtsextreme und Revisionisten in Ungarn beziehen sich heutzutage immer noch auf dieses Ereignis und fordern die Schaffung eines Großungarn in den alten Grenzen. Die Trilogie geht auch auf die Politik der derzeitigen Regierung von Viktor Orbán ein und verweist auf Kontinuitäten zwischen dem Nazikollaborateur Miklos Hórthy und dem amtierenden Ministerpräsidenten. »In Ungarn kann der Ministerpräsident öffentlich von ›Blut und Boden‹ sprechen, das gehört dazu«, sagt KissPál. Dass seine Ausstellung nun genau gegenüber vom Parlament gezeigt wird, in Räumen des Instituts für Politische Geschichte, ist ein kleiner Triumph und immerhin eine symbolische Konfrontation.
Ermöglicht hat diese räumliche Gegenüberstellung der Ausstellung mit dem architektonischen Symbol der selbsternannten »illiberalen Demokratie« die Off-Biennale. Deren Macherinnen und Macher müssen immerzu erfinderisch sein, was die Räumlichkeiten angeht. Sie nutzen ungewöhnliche Orte und transformieren sie zu temporären Kunsträumen – weniger, um einem Stadtmarketing zuzuarbeiten, wie es für Biennalen üblich ist. Vielmehr nutzen sie keinerlei Räume und Institutionen, die staatlich getragen sind, und nehmen keine Förderung vom ungarischen Staat in Anspruch. Auf ihre Weise stemmt die Off-Biennale sich gegen die Regierung und ihre Kulturpolitik – hauptsächlich, indem sie ihr die kalte Schulter zeigt. (…)

 

 

jungle.world 19.10.2017